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Krautmarkt
ZELNÝ TRH
Der Krautmarkt (heute Zelný trh) spielte im Leben Leoš Janáčeks gleich mehrfach eine Rolle. Im unteren Teil des Platzes steht das Gebäude der Reduta, eines der ältesten dauerhaften Theatergebäude Mitteleuropas, wo unter anderem im Jahr 1767 der junge Wolfgang Amadeus Mozart konzertierte. Hundert Jahre später wirkte hier Janáček zusammen mit den übrigen "Blaukehlchen", den Knaben von der Schulstiftung des Klosters Alt-Brünn, bei Opernaufführungen mit. Als Erwachsener verfolgte Janáček gern das Markttreiben auf dem Krautmarkt und auf dem nahen Dominikanerplatz, wo er die Sprache der Händler und Marktfrauen aus Brünn und seiner Umgebung notierte. Diese Sprachausschnitte samt ihrer musikalischen Notation, die er Sprachmelodien nannte, sammelte Janáček über etliche Jahre hinweg in den verschiedensten Situationen und betrachtete sie als "Fenster zur menschlichen Seele". Auf dem Krautmarkt studierte er bevorzugt das Geschrei der Marktfrauen aus Lösch (Líšeň) mit ihrer typischen melodischen Mundart.
Am oberen Ende des Platzes hatte ab 1904 die Firma des Musikinstrumentenbauers und Klavierhändlers Josef Lídl ihren Sitz. Hier bestellte Janáček als Direktor der Orgelschule die benötigten Instrumente. Mit der Orgelschule verband Josef Lídl aber auch seine Tätigkeit als Kassenwart des Vereins zur Förderung der Kirchenmusik in Mähren, in dessen Trägerschaft sich die Schule befand.
Die Sprachmelodien sind Ausdruck des Gesamtzustands des Organismus und aller Phasen der geistigen Tätigkeit, die daraus hervorgehen. Sie zeigen uns einen blöden oder einen verständigen Menschen, einen schläfrigen oder einen wachen, einen müden oder einen regen. Sie zeigen uns ein Kind oder einen Greis; Morgen oder Abend, Licht oder Finsternis; Hitze oder Frost; Einsamkeit oder Gesellschaft. Die Kunst bei dramatischen Kompositionen ist es, eine Melodie zu schreiben, bei der wie durch ein Wunder sofort ein menschliches Wesen in einer bestimmten Lebensphase erscheint.
Leoš Janáček: Letztes Jahr und heuer (Hlídka XXII, 1905)
Josef Lídl stellt ein für die Orgelschule bestelltes Klavier in Rechnung (2.7.1913) © Moravské zemské muzeum